Michael K. Iwoleit wurde 1962 in Düsseldorf geboren und lebt heute in Wuppertal. 1982 machte er das Abitur und absolvierte eine Ausbildung zum Biologisch-technischen Assistenten, danach studierte er einige Semeter Philosophie und Germanistik. Seit 1989 ist er als freiberuflicher Autor, Übersetzer, Kritiker und Herausgeber vor allem im Bereich Science Fiction und phantastische Literatur tätig, daneben arbeitete er als Texter für Werbe- und Industriekunden.
In der Science-Fiction-Szene ist er vor allem für seine Novellen bekannt, für die er zweimal mit dem Kurd Laßwitz Preis und viermal mit dem Deutschen Science Fiction Preis ausgezeichnet wurde, zuletzt 2013 für seine Erzählung „Zur Feier meines Todes“. Er veröffentlichte vier Romane und etwa dreißig Erzählungen, die teilweise ins Englische, Italienische, Spanische, Kroatische und Polnische übersetzt wurden. Er ist Mitbegründer und Mitherausgeber des deutschen Science-Fiction-Magazins Nova und des internationalen Science-Fiction-E-zines InterNova.
Unter anderem übersetzte er Romane von Cory Doctorow, Sean Williams und David Wingrove ins Deutsche. Seit einigen Jahren ist er auch mit Lesungen, als Ambient-Musiker und Veranstalter in der 3D-Internet-Welt Second Life aktiv.
01) Michael, gleich zu Beginn unseres Email-Interviews stelle ich Dir die Frage alle Fragen: wie wurdest Du Science-Fiction Autor?
Das habe ich mich auch oft gefragt: Wie konnte das passieren? Ich schreibe bereits seit meinem elften Lebensjahr. Es war kein bewußter Entschluß, das Schreiben zum Beruf zu machen. Ich habe einfach die erste Gelegenheit ergriffen, die sich dafür bot, und hatte, trotz einer abgeschlossenen Berufsausbildung und einigen Semestern Studium, nie eine besondere Motivation, etwas anders zu machen (außer vielleicht, Musiker zu werden, was ich heute im bescheidenen Rahmen wieder mache). Ursprünglich bin ich über die Weird Fiction und hier besonders Klassiker wie Lovecraft, Blackwood, Bierce und anderen zum Schreiben gekommen. Erst nach der Lektüre der Werke von John Brunner (den ich ein paar Mal persönlich treffen konnte), J.G. Ballard und Philip K. Dick bin ich dann zur Science Fiction umgeschwenkt. Ich fühle mich heute nicht mehr ans Genre gefesselt und bin aufgeschlossen für alle Arten von Literatur und Kunst, aber die Science Fiction wird wohl immer meine literarische Heimat bleiben, weil mich die kreativen Möglichkeiten, vor allem in der kurzen Form, immer aufs Neue faszinieren.
02) Fiel Dir die Entscheidung Autor zu werden leicht?
Nach einigen glücklosen Versuchen davor konnte ich 1989, dank eines Angebots von Heyne, endgültig hauptberuflich in die SF einsteigen. Einige Jahre zuvor hatte ich bereits einige erfahrene SF-Profis kennengelernt, die mich bei meinen ersten Gehversuchen unterstützten, und wußte von daher ungefähr, was auf mich zukommt. Außerdem kannte ich nach zwei Jahren eines zwar krisenfesten, aber unbefriedigenden Jobs an der Düsseldorfer Universität bereits die Frustrationen, die ein „solider“ Beruf einem kreativen Geist einbrocken können, deshalb war die Entscheidung, ins unsichere Dasein eines freien Autors einzusteigen, – wie man heute sagen würde – „alternativlos“.
Obwohl ich noch einige der fetten Jahre mitbekommen habe, als es zahlreiche SF-Taschenbuchreihen gab und sich dem SF-Profi Verdienstmöglichkeiten boten, von denen wir heute nur träumen können, war die Sache besonders wirtschaftlich kein Zuckerschlecken. Bereut habe ich es trotzdem nie.
03) Was hat Dich in Deinem beruflichen Leben entscheidend geprägt?
Ich hatte das große Glück, schon Anfang der Achtzigerjahre Ronald M. Hahn und Horst Pukallus kennenzulernen, von denen ich vor allem im Hinblick auf die endlos vielen,
sprachlichen und inhaltlichen Detailprobleme des Schreibens und Übersetzens viel lernen konnte und deren Fleiß und Professionalität mir immer ein Vorbild sein werden. Man kann jedem jüngeren Autor und sonstwie Kreativen nur raten, sich selbst solche erfahrenen Mentoren zu suchen und deren praktischen Kenntnissen für die eigene Arbeit zu adaptieren. Generell glaube ich, daß es sich mit dem Schreiben ähnlich verhält wie mit der Philosophie: Man bleibt ein ewiger Anfänger (es sei denn, man heißt Shakespeare oder James Joyce). Ich bin deshalb weit davon entfernt, mich für einen Meister zu halten, aber als Mit-Herausgeber zweier Magazine bin ich jetzt vielleicht in der Position, die Fackel an jüngere Autoren weiterzureichen, und dabei versuche ich einige Maximen zu vermitteln, die ich selbst Horst und Ronald verdanke:
Suche keine Ausflüchten und Ausreden, befasse Dich mit den Sachen, die Du als Autor wissen mußt, lerne Dein Metier und Dein Medium kennen.
Autoren, die nichts daran finden, daß sie mit Grammatik und Orthographie auf dem Kriegsfuß stehen und sich weder mit der Literatur im Allgemeinen noch der SF im Besonderen auskennen, sind auf dem falschen Dampfer und werden es mit dem Schreiben zu nichts bringen. Leider wollen das heute viele nicht mehr in ihre Köpfe bekommen.
04) Viele Menschen glauben immer noch, das Künstler das Leben eines Bohémiens führen. Wie sieht Dein Arbeitsalltag wirklich aus?
Ganz einfach: Ich stehe um 16:00 Uhr auf, löffel einen Krabbencocktail, den mir meine hochgeschätzte Mitbewohnerin ans Bett bringt, räkel mich für ein Stündchen im Whirlpool, wimmel mit großzügig verteilten Autogrammkarten die Fans und Groupies ab, die sich seit den frühen Morgenstunden vor meiner Jugendstilvilla im Briller Viertel die Füße in den Bauch stehen, poliere meinen Ferrari, den ich mir von den letzten VG-Wort-Tantiemen gegönnt habe, und begebe mich anschließend zum Prosecco-Schlürfen ins Luisenviertel, wo ich bis zum Schlafengehen der große Inspiration harre, die gewöhnlich, aber nicht immer, erst nach dem Abflauen der Trunkenheit eintritt.
Nein, im Ernst: ein typischer Arbeitstag ist das nicht. An dieser Schilderung stimmt lediglich, daß ich manchmal wirklich erst um 16:00 aufstehe, was aber nicht ausschließlich an akuter Arbeitsscheue, sondern noch öfter daran liegt, daß sich meine Aktivitäten mehr und mehr in die Nacht verlagern. Fast alle kreativen Menschen operieren am Rande des Chaos, und wie viele andere versuche ich ebenso hartnäckig wie vergeblich, etwas Struktur und Regelmäßigkeit in meinen Arbeitsalltag zu bringen. In meinem Fall hängt es sicher damit zusammen, daß ich ein ausgesprochener Multitasker bin und mir soviele Ideen und Interessen gleichzeitig durch den Kopf spuken, daß ich selten damit zufrieden bin, mich ausschließlich auf ein laufendes Projekt zu konzentrieren. Manchmal ergeben sich gewisse Schwerpunkte, wie gegenwärtig die Arbeit an neuen Romanen, aber meistens schreibe ich an mehreren Stories und Esssays gleichzeitig, dazu kommen noch die Magazinarbeit und meine Internet-Aktivitäten. Ein gewisses Maß an Parallelarbeit ist unvermeidlich, wenn man bezahlte Jobs mit ehrenamtlichen bzw. unbezahlten Aktivitäten austarieren muß, der Rest aber ist persönliche Unzulänglichkeit oder schierer Wahnsinn.
05) Was ist die treibende Kraft für Deine Werke? Der schöpferische Drang? Die Inspiration?
Auf diese Frage könnte man allerlei erhaben klingende Antworten geben, was Autoren auch gern tun, aber die Wahrheit ist viel banaler. Aus Gründen, die mir wie den meisten Kreativen selbst nicht ganz klar sind, kann sich mein Kopf mit dem passiven Wahrnehmen von Dingen, die ihn reizen und faszinieren – seien es Musik, Literatur, Film, Kunst etc. -, nicht zufriedengeben. Mein Kopf generiert eigene Ideen, die er loswerden und in eigenen Werken verwirklicht sehen will. In meinem Fall ist der Ausgangspunkt oft ein vages Bild, eine Stimmung, eine Atmosphäre, ein sinnlicher Eindruck, der nach und nach Fleisch in Form von konkreten Handlungs- und Backgroundideen ansetzt. Ich verwende viel, manchmal vielleicht zuviel, Zeit darauf, vor dem Auge des Lesers interessante Settings entstehen zu lassen. In dieser Hinsicht sehe ich einige Gemeinsamkeiten mit visuell orientierten Autoren wie Ballard oder Gibson, die weniger daran interessiert sind, wie eine fremde Welt in logischem Sinne funktioniert, sondern wie ihre Aura ist, wie es sich anfühlt, in ihr zu leben.
06) An welchem Projekt arbeitest Du gerade?
Gerade arbeite ich an zwei Romanen parallel, was sich daraus ergeben hat, daß durch eine längere Krankheit und einen ausgedehnten Writer’s Block vieles liegen geblieben ist. Für den kleinen, aber feinen Fabylon-Verlag arbeite ich an einer Romanfassung meiner preisgekrönten Novelle „Der Moloch“, die aber nur einige Elemente der Novelle übernehmen wird und ansonsten vollständig neu ist. Verlegerin Uschi Zietsch, die normalerweise die freundlichste Kollegin in der Szene ist, die man sich nur wünschen kann, sitzt mir gerade mit Peitschenhieben im Nacken, damit ich auch die restlichen 150 Seiten bald abliefere und das Ding noch in diesem Jahr erscheinen kann.
Dem vortrefflichen Harald Giersche, Inhaber des noch kleineren, aber ebenso feinen Begedia Verlags, habe ich versprochen, in diesem Jahr endlich auch meine zum Roman ausgewachsene Novelle „In situ“ fertigzustellen, auf die er ungefähr seit der letzten Eiszeit wartet. Diesem Ziel bin ich auf weniger als hundert Seiten nahegekommen.
Wenn das geschafft ist, stehen einige kleine Brot- und Butter-Projekte sowie ein Umbau bzw. Umzug meiner beiden Second-Life-Parzellen und die Vorbereitung neuer Veranstaltungen auf der Warteliste.
07) Der PC ist ein wichtiges Werkzeug für Autoren. Dazu kommt noch das Internet. Diskussionsforen, Webseiten, Blogs und „Datenbanken“ wie Wikipedia sind für viele unentbehrlich geworden. Wie stark nutzt Du für Deine Arbeit das Internet?
Mir scheint, daß viele Autoren die Möglichkeiten des Internets noch unzureichend nutzen. Blogs, Foren und selbst die Wikipedia sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Ich habe in jüngster Zeit etwas tiefer gebohrt und war geradezu fassungslos, welche ungeheueren Mengen an Material zur Bildung und Fortbildung, zur Information und Inspiration das Netz anbietet, wenn man sich nur gründlich anschaut. Das fängt schon bei einem populären Portal wie Youtube an, das man anders nutzen kann, als sich den ganzen Tag Talkshowausschnitte und Katzenvideos anzuschauen. Ein SF-Autor kann hier jede Menge Vorträge, Tutorials, Diskussionen und Dokumentationen zu SF-relevanten Themen finden. Noch viel mehr ergibt sich, wenn man unter dem Stichwort „Open Content“ recherchiert, hinter dem sich Massen an frei zugänglicher wissenschaftlicher Literatur und universitärem Schulungsmaterial verbergen. Und auch das ist noch nicht alles. Ich wage zu behaupten: wer noch nie einige der Schätze gehoben hat, die sich in Sites wie dem Internet-Archiv, ubuweb oder Vimeo, dem wohl besten Videoportal des Webs, verbergen, der kennt das Internet noch nicht.
Daß ausgerechnet Schriftsteller, die praktisch frei Haus von der Mühe entlastet werden, sich wie in früheren Zeiten für ein paar Informationen durch Bibliotheken wühlen zu müssen, oft wenig bis nichts über solche Angebote wissen, für die sie die Urheber auf Knien lobpreisen müßten, scheint mir ein weiteres Symptom für die unzureichende Erschließung und Darstellung der Welt zu sein, in die wir uns hineinbewegen. Ich selbst nutze solche Quellen in letzter Zeit sehr intensiv, und sie haben meine Kenntnisse und Fähigkeit sehr bereichert.
08) Du betreibst einen eigenen Blog iwoleit.wordpress.com. Wie kam es dazu?
Als einen klassischen Blog würde ich die Seite nicht bezeichnen, obwohl ich dafür eine bekannte Blogsoftware verwende. Es ist in erster Linie eine Autoren-Homepage, die über meine diversen Veröffentlichungen und Aktivitäten informiert. Es ist auf der Seite erst wenige Male vorgekommen, daß ich mich darüber hinausgehend geäußert habe, zuletzt über die kreative Nutzung digitaler Medien, nicht zuletzt Second Life, und über die Renaissance der Kurzgeschichte, die die Nobelpreisverleihung an die Kanadierin Alice Munro herbeiführen könnte. Es ist möglich, daß ich diesen kommentierenden Aspekt meiner Homepage in Zukunft noch etwas ausbauen werde, soweit es meine Zeit zuläßt.
09) Wie ist Deine Meinung zu „sozialen Netzwerken“, wie Facebook, Twitter, StudiVZ, Xing, und dergleichen?
Aus Professionellen-Netzwerken wie Xing, LinkedIn usw. hat sich für mich nie ein besonderer Nutzen ergeben, deshalb bin ich aus den meisten ausgetreten. Auf Facebook war ich einige Jahre aktiv, und man kann dem Netzwerk immerhin zugute halten, daß es ein gute Replikator für Informationen und Nachrichten ist. Der erhebliche Zeitaufwand, um die Facebook-Kontakte zu pflegen, und insbesondere die Versuchung, jeden zu kommentieren, der soziale Netzwerke vor allem zum Herumpöbeln und zum Verbreiten seiner höchst eingeschränkten Weltsicht nutzt, haben mich aber auf Dauer abgestoßen. Ausschlaggebend dafür, meinen Facebook-Account im April dieses Jahres zu kündigen, war dann die Lektüre von Eli Parisers Buch „The Filter Bubble„. Daß Anbieter eines kostenlosen Dienstes Geld verdienen müssen und sich das im Web am besten über Werbung bewerkstelligen läßt, ist mir durchaus einsichtig. Systematisch die privaten Aktivitäten von Millionen Usern auszuspionen, damit Milliarden an der Börse zu verdienen und, weil manche den Hals bekanntlich nie voll bekommen, Daten an die Geheimdienste zu verschachern, ist aber etwas ganz anderes. Facebook ist inzwischen neben Google zu einem der größten Datenkriminellen des Globus aufgestiegen, und solchen Molochen sollte man die Gefolgschaft verweigern. Warum ein Mann wie Edward Snowden, dem man für seinen Mut den Nobelpreis verleihen sollte, verfolgt wird, ein unverschämter Schmarotzer wie Mark Zuckerberg aber hohes Ansehen genießt, ist eine der Absurditäten unserer Zeit, die einen in tiefste Depressionen stürzen können.
10) Wir leben in einer sich immer schneller verändernden Welt. Wie gehst Du mit diesen Veränderungen um?
Ich versuche vor allem, nicht bloß Oberflächenreizen zu erliegen, sondern tiefere Einsichten über die Entwicklungen zu gewinnen, die unsere Welt in immer dramatischerem Tempo verändern. Die Medien- und Netzwerkwelt, die so viel unserer Zeit beansprucht mit ihrer hektischen Jagd auf alles, was hip und new und cool ist, ruht auf dem Fundament einer neuen, von der klassischen humanistischen Bildung deutlich abgesetzten Kultur, die seit einigen Jahrzehnten im Entstehen begriffen und den meisten bloß passiv konsumierenden Internet-Benutzern ebenso wenig bewußt ist wie den traditionellen bildungsbürgerlichen Schichten, die meinen, ein Monopol auf den Begriff „Kultur“ zu haben. Diese Kultur ist ein neuartiges Denkgebäude, ein Raum von Ideen und Vorstellungen, zu dem Naturwissenschaftler, Mathematiker, Programmierer, auch einige Künstler und Literaten Beiträge geleistet haben und die in ihrem Gesamtzusammenhang noch gar nicht richtig analysiert worden ist. Über diese – um einen unzureichenden Begriff zu benutzen – Cyberkultur versuche ich möglichst viel herauszubekommen und ihr Anregungen zu entnehmen, die über ein allzu oberflächliches Verständnis der heutigen Welt hinausgehen.
Ein Beispiel für das, was ich meine: Als 2011 Apple-Mitbegründer Steve Jobs verstarb, hat es die Nachricht bis aufs Spiegel-Cover geschafft und die Presse ist in ihren Elogen förmlich übergeschnappt. Kaum irgendwo waren kritische Anmerkungen darüber zu lesen, daß Apple wie Microsoft seine besten Ideen geklaut hat und daß Jobs mit seiner Firma lange Jahre technisch unzureichende Arbeit geleistet und geschäftlich hanebüchene Entscheidungen gefällt hat. Als sieben Tage später Dennis Ritchie starb, war das den meisten Quellen nur eine Randnotiz wert, obwohl Ritchie als Mitentwickler von Unix und C zehnmal wichtiger und einflußreicher war als alle Jobs‘, Wozniaks und Gates‘ dieser Welt zusammengenommen. Welche Otto-Normal-PC-Benutzer ist sich schon bewußt, daß es ohne Ritchie und Thompson weder das Internet noch die heutige kommerzielle Software gegeben hätte? Dies ist ein Phänomen, das mich befremdet und beunruhigt: völlige Ignoranz und Unbildung gegenüber der Welt, in der wir heute leben. Unser Bildungsapparat ist darauf noch gar nicht eingestellt. Unter Computerkompetenz verstehen Schulen, wenn Kinder lernen, einen Suchbegriff in Google einzugeben oder eine Excel-Tabelle anzulegen. Sie lernen aber so gut wie nichts über die Geschichte und Hintergründe der Welt, in der sie sich für den Rest ihres Lebens zurechtfinden müssen.
Als SF-Autor möchte ich dem Flügel der Science Fiction angehören, der selber Teil der Cyberkultur und Sachkundiger in die sich entfaltende neue Welt eingedrungen ist. Autoren wie Ted Chiang oder Greg Egan haben gezeigt, was die SF in dieser Hinsicht leisten kann.
11) Wenn Du einen Plan für die nächsten, sagen wir vier Jahre hättest, wie würde der in etwa aussehen?
Vier Jahre sind arg knapp für meinen Marshall-Plan. Um einen Überblick meiner Aktivitäten zu bewahren, lege ich gern Listen an, die ich versuche, systematisch abzuarbeiten, in der Hoffnung, daß ich irgendwann am Ende ankomme. Nach einer vorläufigen Hochrechnung wird das Abarbeiten aller gegenwärtig gelisteten Schreibprojekte, Fortbildungsmaßnahmen und Bücher, die ich unbedingt mal lesen sollte, etwa 250 Jahre in Anspruch nehmen, nicht eingerechnet die Ideen, die ich bis dahin haben werde. Ich wie meine Leser müssen also hoffen, daß Ray Kurzweil mit seinen Unsterblichkeitsprognosen wider Erwarten Recht hat, und uns ansonsten mit Geduld wappnen. Es kann für einen Kreativen ratsam sein, keinen allzu realistischen Blick auf das zu werfen, was er mit sich und seinem Leben vorhat.
Bleiben wir aber bei den vier Jahren, so plane ich, in dieser Zeit ungefähr Folgendes zu schaffen: In laufenden Jahr meine beiden aktuellen Romane und die Zusammenstellung eines Essaybandes, für den es bereits einen interessierten Verleger gibt. Danach möchte ich das Exposé eines umfangreichen, mehrbändigen SF-Romans fertigstellen, für den ich jahrelang recherchiert habe, und das Ding in den folgenden beiden Jahren auch schreiben. Danach steht ein historisch-phantastischer Roman an, dem ich zutraue, mir den erhofften Ruhm und Reichtum oder zumindest ein bißchen Aufmerksamkeit außerhalb der SF-Szene einzubringen. Nebenher möchte ich, was ich im letzten Jahr angefangen habe, vermehrt Stories auf Englisch schreiben und international publizieren.
12) Was würdest Du den jungen Menschen raten, die gerade ihr Abitur / Hochschulreife erlangt haben und die vor der Entscheidung stehen ob Sie ein Studium beginnen oder in das Berufsleben einsteigen sollen?
Wenn ich mir ansehe, daß ältere Kollegen, die jahrzehntelang geschuftet haben, sich mühsam bis zur Rente durchschlagen müssen und ich selbst noch nicht weiß, wie ich das Rentenalter lebend erreichen soll, wäre jeder kluge Ratschlag ein Selbstbetrug. Ich kenne talentierte jüngere Kollegen, teilweise mit abgeschlossem Studium, die damit rechnen müssen, sich niemals fest im Berufsleben etablieren und sicher niemals allein eine Familie ernähren zu können. Niemand, der sich mit Ach und Krach über die Vierzig hinaus gehangelt hat, würde gern mit dem Jugendlichen tauschen, die heute vor einer in der Nachkriegsgeschichte unseres Landes beispielhaften Perspektivlosigkeit stehen. Ich bezweifle, daß es noch eine Branche gibt – außer Politik, Insolvenzverwaltung und Aktienspekulation -, die man Jugendlichen ehrlich als sichere Zukunftsoption empfehlen kann. Wenn nicht bald ein dramatischer Umschwung in der Politik stattfindet, der dazu führt, daß die alte Weisheit „Kinder sind unsere Zukunft“ wieder mehr als nur eine Phrase ist, drohen uns Verhältnisse wie in Japan, wo immer mehr Jugendliche unter dem Druck zusammenbrechen und sich in Gewalt und Kriminalität flüchten. Was will man in einer solchen Situation raten? Es mag zynisch klingen, aber mir fällt da nichts Besseres ein als: Mach das, was Dir Spaß macht, auch wenn Du damit rechnen mußt, den Großteil der nächsten dreißig Jahre arm und erwerbslos zu sein – immerhin hast Du dann Deine Zeit nicht mit einem Job vergeudet, der dich anwidert, und Dich nicht von schwachköpfigen Vorgesetzten in die Psychiatrie treiben lassen.
„Da wird es hell in einem Menschenleben, wo man für das Kleinste danken lernt.“ Friedrich von Bodelschwingh
13) Wenn Du auf Deine bisherige Karriere zurückblickst, worauf bist Du besonders stolz?
Das ist eine Frage, die mich in Verlegenheit bringt. Ungefähr die Hälfte meiner bisherigen Laufbahn warich ein ziemlich fauler Hund und könnte dem Erreichen meiner Ziele heute bereits sehr viel näher sein, wenn ich in jüngeren Jahren etwas mehr Disziplin aufgebracht hätte. Einige jüngere Kollegen, die nicht die Fleißgene unserer heute 60 bis 70 Jahre alten Vorbilder geerbt haben, plagen sich mit ähnlichen Problemen herum, deshalb brauche ich vielleicht nicht allzu betrübt zu sein. Seit Anfang des neuen Jahrhunderts und insbesondere seit ich für zwei Jahre meinen Arbeitsplatz in einer Werbeagentur aufgeschlagen hatte und termingerechtes Arbeiten und Kaffeetrinken lernte, hat sich zwar manches gebessert, aber aus meiner persönlichen Sicht habe ich noch keinen Anlaß, restlos mit mir zufrieden zu sein und auf irgendetwas besonders stolz zu sein. Aber wenn man dem Urteil einiger berufener und urteilsfähiger Zeitgenossen glauben darf, habe ich einige der besten deutschen SF- Kurzgeschichten und vor allem -Novellen der letzten zehn Jahre geschrieben, wovon vermutlich die Erzählungen in meiner ersten Sammlung „Die letzten Tage der Ewigkeit“ am längsten Bestand haben werden. Seit ich mehr als Erzähler hervorgetreten bin, ist ein anderer Teil meines Schaffens, an dem mir einiges liegt, meine literarischen Essays, etwas weniger beachtet werden. Ausgesprochen zufrieden bin ich mit meinen Essays über Carter Scholz, Lucius Shepard und J.G. Ballard, die einige, wie ich hoffe, literaturhistorisch nicht unbedeutende Analysen enthalten.
14) Gibt es einen Traum, den Du Dir erfüllen möchtest?
Wer als Autor behauptet, daß er nicht davon träumt, doch einmal auf den absonderlichen Umwegen, die das Leben zuweilen einschlägt, mit einem Werk auf den Bestsellerlisten zu landen und mehr als ein Anerkennungshonorar einzufahren, ist wohl unaufrichtig. Gegen einen solchen Glücksfall und dem damit verbundenen finanziellen Befreiungsschlag (oder wie es mein Kollege Ronald Hahn ausdrückte: „Wogen von Brot und Beifall“) würde auch ich mich sicher nicht mit Händen und Füßen wehren. Solang es nicht passiert, kann man sich mit einer Lebensweisheit trösten: Paß auf, was Du Dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen. Viele kommerziell erfolgreiche Autoren sind so an eine bestimmte Masche gefesselt, die Leser und Verlage von ihnen erwarten, daß sie ihre kreative Autonomie verloren haben und sich die Unabhängigkeit und Selbsttändigkeit zurück wünschen, die sie als junge und aufstrebende Autoren einmal hatten. Insofern hat ein Dasein als relativ unbekannter und kommerziell unbedeutender Autor auch seine positiven Seiten, die man zu schätzen wissen sollte. Ich werde einfach versuchen, meine Arbeit weiterhin so gut zu machen wie ich kann, und werde es demütig hinnehmen, wenn je eine Woge aus Ruhm und Reichtum auf mich zurollen sollte.
Mein primäres Ziel ist aber, wenigstens all die Ideen zu verwirklichen, die ich heute schon habe. Mit über fünfzig kommt kommt einem langsam die Begrenztheit der eigenen Lebenszeit zu Bewußtsein, und es wird einen Einsatz erfordern, gegen den meine bisherige Laufbahn ein Klacks war, um diese Zeit so zu nutzen, wie ich es mir vorstelle.
15) Zum Abschluss möchte ich Dir eine ganz persönliche Frage stellen: was hast Du vom Leben gelernt?
Eine Antwort auf eine solche Frage kann leicht so pathetisch ausfallen wie die Frage selbst, deshalb bewundere ich Interviewer, die den Mut haben, sie trotzdem zu stellen. Obwohl ich die Fünfzig bereits überschritten habe, ist es mir gelungen, soweit ein Kindskopf zu bleiben, daß ich wohl noch zu jung und zu töricht für definitive Lebensweisheiten bin. Ich versuch’s trotzdem mal provisorisch: Gegen alle Widrigkeiten sich selbst treu zu bleiben, halte ich für eine der wenigen legitimen Quellen von Stolz. Man darf allerdings nicht erwarten, sich mit Beharrlichkeit Achtung zu verdienen, schon gar nicht, dafür mit Erfolg belohnt zu werden. Wir leben in einem Zeitalter des Duckmäusertums und der besinnungslosen Hinnahme dessen, was eine Massen- und Mediengesellschaft einem an Maßstäben und Lügen in die Köpfe pumpt. Anders ist wohl nicht zu erklären, warum die gegenwärtigen Verhältnisse in unserem Land noch nicht zu einer Revolution geführt haben und warum die „mächtigste Frau der Welt“ nicht längst im amerikanischen Exil leben muß. Wenn man als Kulturschaffender auch nur einen Hauch dazu beitragen kann, daß sich in dem einen oder anderen Kopf der Funke kritischen Denkens entzündet, hat sich die ganze Mühe bereits gelohnt. Aus der kleinen Nische, in der ich arbeite, werde ich weiterhin versuchen, dazu beizutragen, auch mit dem Gedanken im Hinterkopf, daß an dieser Aufgabe schon viel Größere verzweifelt sind.