E-Mail Interview mit dem Musiker Stephen Parsick

Stephen Parsick ist Künstler, seine Ausdrucksform ist die elektronische Musik. 1996 gründete er die Band [´ramp]. 1998 veröffentlichte er sein erstes Solo Album „Traces of the Past“. Im selben Jahr erschien bei Mario Schonwalders Manikin Records das erste [´ramp] Album mit dem Titel „nodular“. Von 1998 bis 2002 arbeitete Parsick mit Klaus Hoffmann-Hoock. Auch spielte er zeitweise in den Bands ‚Cosmic Hoffmann‘ und ‚Mind over Matter‘.
Stephen Parsick, Jahrgang 1972, hat sich als Musikproduzent und Sound Designer einen Namen gemacht. Sein Musikstil ist als ‚Dark Ambient‘ bekannt geworden und sticht aus dem von Plattenfirmen und Medienkonzernen produzierten Einheitsbrei heraus.

Gleich zu Beginn unseres Email-Interviews stelle ich Dir die Frage aller
Fragen: wie kamst Du dazu elektronische Musik zu machen?

Ich habe zum ersten Mal diese Musik gehört, als ich noch in den
Kindergarten ging. Irgendetwas daran hat mich einfach umgehauen, und als
ich das erste Mal Jarres „Oxygene“ hörte, wußte ich, daß ich auch sowas
machen wollte. Diese Klänge haben einfach ganz tief in mir eine Saite
berührt, und die hat seither nicht mehr aufgehört, zu schwingen. Später
lernte ich dann die Musik von Klaus Schulze und Tangerine Dream kennen,
und bei Schulze dachte ich das erste Mal „Das kannst Du auch, der spielt
ja genauso schlecht wie Du!“ Davor hatte ich nur so Zeug wie Tomita und
Wendy Carlos gehört, die ja diesen ganzen klassischen Kanon rauf- und
runtergespielt haben — und mit klassischer Musik wollte ich nichts zu tun
haben, weil die Formalismen, die ihr zugrunde liegen, meinen Geist viel zu
sehr in eine bestimmte Richtung gezwängt hätten. Gerade diese stilistische
Freiheit, die einem die nicht-akademische elektronische Musik eröffnet,
finde ich sehr spannend und befreiend: Ich muß mich nicht um über
Jahrhunderte hin wie heilige Kühe tradierte Formalismen scheren, sondern
kann einfach die Musik entstehen lassen und womöglich selbst einen Stil
schaffen. Von dieser Warte aus betrachtet finde ich die freiwillige
stilistische Einengung, die heute viele Macher von EM auf sich nehmen,
völlig kontraproduktiv und im Grunde sogar schädlich für den
Ursprungsgedanken — da ist endlich eine Musik, die einem alle Freiheiten
gibt, und sie tauschen diese Freiheit aus Mangel an Disziplin oder Angst
vor eben der Freiheit gegen eine formale Einengung ein. Das hat mehr etwas
von Anbiederei an andere Stile und Szenen als vom Finden einer eigenen
Ausdrucksform.

Stephen Parsick im Foyer des Planetarium Bochum

Der Musiker Stephen Parsick im Planetarium Bochum

Viele Menschen glauben immer noch, dass Musiker das Leben eines Bohémiens
führen. Wie sieht Dein Arbeitsalltag als Künstlers wirklich aus?

Ich kann von meiner Musik nicht leben, und jede neue Produktion lebt vom
Erfolg der vorhergehenden; wenn ein Album sich schlecht verkauft und die
Produktionskosten nicht wieder einspielt, steht es schlecht um die
Veröffentlichung des nächsten Albums. Im Idealfall trägt die Musik sich
selbst — oder es geht halt gar nichts. Ich arbeite daher hauptberuflich
als Fremdsprachendozent bei diversen Bildungsträgern in Ostwestfalen und
im südlichen Niedersachsen, um die Brötchen zu verdienen und die Miete zu
bezahlen. Ich halte es hier mit Tommi Stumpff, der mal so schön sagte, daß
jemand, der nicht bereit ist, für seine Kunst zu hungern oder einen
zweiten Job anzunehmen, auch nichts zu sagen hat.
Das einzig Bohemische, das ich bis dato erlebt habe, ist, daß ich meine
Arbeitszeit etwas freier gestalten und besser meinem eigenen
Lebensrhythmus anpassen kann. Wer aber glaubt, daß Kunst ein Freibrief
ist, um auf der faulen Haut zu liegen, der irrt sich gewaltig — das gilt
allenfalls für Leute, die von einem familiären Speckpolster zehren können,
das sich andere für sie angefressen haben. Und im Gegensatz zur immer noch
weitverbreiteten Auffassung, bei elektronischer Musik müsse man nur auf
einen Knopf drücken und dann macht sie sich von alleine, muß man
diszipliniert arbeiten, um am Ende ein Resultat zu bekommen — das kommt
nicht von nichts. In erster Linie ist Kreativsein harte Arbeit und sehr
viel Disziplin; wenn Du anfängst, selbstgefällig zu werden oder das
Mittelmaß als Eichmaß für Dein Handeln akzeptierst, dann hast Du im
Prinzip schon verloren, weil dann die Motivation, sich selbst verbessern
oder entwickeln zu wollen, schon verflogen ist.

Planetarium Bochum am Abend des 13. Dezember 2008.

Planetarium Bochum am Abend des 13. Dezember 2008.

Was ist die treibende Kraft für Deine Musik? Der schöpferische Drang, die
Inspiration?

Klaus Schulze sagte mal in einem Interview, daß der Antrieb eines
Künstlers darin liege, daß er mit seiner Umwelt unzufrieden sei und er sie
durch seine Arbeit verbessern wolle. Das ist vielleicht eine gute
Umschreibung, denn diese Unzufriedenheit mit dem Status Quo, den
bestehenden Verhältnissen vor allem in der Musikwelt ist bei mir definitiv
vorhanden, nur glaube ich nicht, durch meine Arbeit irgendetwas verändern
zu können. Das ist aber keine Ausrede, um diese Arbeit nicht zu machen. Ob
sie jemals etwas bewegen wird, weiß ich nicht. Diese Frage kann ich nicht
zur Grundlage meiner Entscheidungen machen.
Es gibt keine eindeutige Quelle, was die Inspiration angeht. Inspiration
kann aus einer Klangfarbe erwachsen, die ich bei einem Instrument gefunden
habe, aus dem Zusammenwirken von mehreren musikalischen Kräften, aus
Dingen, die um mich herum geschehen, oder ganz spontan aus dem Moment und
einer Eingebung heraus. Ich will das auch nicht weiter erkunden oder
verstehen, denn die Magie des Schöpfungsaktes ist nur solange Magie,
solange man sie nicht durch zuviele Fragen entzaubert. Die treibende Kraft
ist für mich die Neugier, verstehen zu wollen, wie aus elektronischen
Instrumenten Musik geholt wird. Der schöpferische Drang ist wahrscheinlich
am ehesten als Bestreben, mich selbst immer wieder verblüffen und erfreuen
zu wollen, zu beschreiben. Aber, wie gesagt, ich versuche, das so wenig
wie möglich zu reflektieren.

Planetarium Bochum am Abend

Planetarium Bochum am Abend

An welchem Projekt arbeitest Du gerade?

Derzeit sitze ich an den Vorbereitungen zu meinem Konzert im Bochumer
Planetarium, bei dem ich Material von der jüngsten [‚ramp]-CD „return“
spielen werde sowie noch einiges an neuem Material, das erst noch geprobt
und in Form gebracht werden muß. Ferner habe ich noch ein paar Aufnahmen
hier liegen, an denen ich seit der Veröffentlichung von „return“ arbeite,
damit demnächst vielleicht die neunte [‚ramp]-CD erscheinen kann.

Der PC ist ein wichtiges Werkzeug für den Künstler. Dazu kommt noch das
Internet. Diskussionsforen, Blogs und Webseiten wie musiczeit.com oder
iapetus-store.com sind für viele unentbehrlich geworden. Wie stark nutzt
Du für Deine Arbeit das Internet?

Wenig. Ich bin zwar in einigen einschlägigen Foren zu finden, in denen ich
Werbung für mich und meine Arbeit mache und auch gelegentlich dummes Zeug
schreibe, aber ich halte das Internet im Großen und Ganzen für eine
massive Zeit- und Energieverschwendung. Es gibt Leute, die tausende von
Facebook-Freunden haben, und wenn sie eine neue Platte veröffentlichen,
kauft von diesen tausenden von Freunden vielleicht eine Handvoll die CD —
da rechtfertigt der Aufwand nicht den Nutzen. Was soll der Quatsch also?
Ich mache mich daher lieber rar, als überall durch ständige Überpräsenz
und Schaumschlägerei aufzufallen — vielleicht die einzig mögliche
Strategie, gewissermaßen eine Gegenbewegung zu dem, was alle anderen
machen.
Der PC hat für mich nur die Funktion einer sehr flexiblen Tonbandmaschine,
mit der ich meine Arbeit produzieren kann. Man sollte diesen technischen
Krücken aber nicht mehr Raum geben, als sie ohnehin schon einnehmen, denn
zu schnell wird man von ihnen abhängig — und ich hasse nichts mehr, als
einer Abhängigkeit ausgeliefert zu sein. Ich wünsche mir sogar manchmal,
ich bräuchte nur eine akustische Gitarre und meine Stimme, um mich
ausdrücken zu können — ohne diesen ganzen Apparat, der immer eine
Steckdose braucht, um funktionieren zu können.

Stephen Parsick und Ina Parpart im Kuppelsaal des Planetarium Bochum

Stephen Parsick und Ina Parpart im Kuppelsaal des Planetarium Bochum

Könntest Du dir vorstellen einen eigenen Blog zu betreiben?

Wofür? Wen sollte es interessieren, was ich zu sagen habe? So ein Blog
kostet Zeit, Energie und Aufmerksamkeit, die ich lieber meiner Musik widme
— das, was ich zu sagen habe, versuche ich, durch meine musikalische
Arbeit zu sagen. Mir ist es schon manchmal zuviel, Emails zu beantworten,
weil jeder jederzeit an jedem Ort verfügbar geworden und am besten schon
alles vorgestern erledigt worden ist. Seit das Internet die Macht über
unser Denken, Fühlen und Handeln übernommen hat, glaubt jeder, sein Senf
sei wichtig und müsse unbedingt dazugegeben werden. Dabei ist das meiste
einfach nur Zeitverschwendung und hätte genausogut nicht gesagt oder
geschrieben werden können — wie womöglich auch dieses Interview hier.

Wie ist Deine Meinung zu den „sozialen Netzwerken“, wie Facebook, Twitter,
StudiVZ, Xing, und dergleichen?

Ich lehne sie von Grund auf ab und gönne mir den Luxus, asozial zu sein.
Für mich hat diese Bindung von Energien und Aufmerksamkeit schon fast
etwas Faschistoides an sich. Da wird Menschen systematisch Energie und
Lebenszeit abgezapft und ihr Denken, Fühlen und Handeln an ein völlig aus
der Kontrolle geratenes System gebunden — und alle machen begeistert mit
und lassen sich freiwillig all die sozialen Zwänge aufbürden, die diese
Netzwerke mit sich bringen! Da wird dann das Leben in einer Parallelwelt
gelebt, die nur aus virtuellen Freunden besteht, aber in der wirklichen
Welt geht man sich dann aus dem Weg und hat einander nichts mehr zu sagen
— aber davon eine ganze Menge!

Wir leben in einer sich immer schneller verändernden Welt. Wie gehst Du
mit diesen Veränderungen um?

Ich versuche, mich bewußt zu entschleunigen, indem ich mich solchen
Netzwerken und Vereinnahmungen soweit es geht entziehe. In meinem Leben
haben Apps, Smartphones, Handies, Internetflatrates, soziale Netzwerke,
Computerspiele oder das neueste Wii keinen Platz. Ich vermeide es auch,
meine Zeit den Medien zu widmen. Das mag ein wenig weltfremd scheinen,
aber ich denke, in der Welt geschieht nichts, was für mich wichtig wäre:
Die Welt geht auch unter, ohne daß ich es mir live bei RTL ansehe. Wieso
soll ich also meine Zeit mit Problemen verschwenden, die ich nicht zu
verantworten habe und für die ich keine Lösung kenne? Die Konsequenzen,
die aus dem Handeln anderer für mich erwachsen, muß ich noch früh genug
tragen, das reicht mir voll und ganz. Ich fokussiere mich stattdessen auf
meine kreative Arbeit, weil ich damit keinen Schaden für die Welt
anrichte. Das Arbeiten mit der Art von Instrumenten, die ich verwende, ist
ebenfalls etwas, das enorm entschleunigt, denn jede Note, jeder Klang muß
einzeln erschaffen werden, ohne daß ein hypermodernes Computersystem
tausend und einen Trick auf einmal für mich erledigen könnte.

Foyer des Planetarium Bochum

Foyer des Planetarium Bochum

Wenn Du einen Plan für die nächsten, sagen wir, vier Jahre hättest, wie
würde der in etwa aussehen?

Überleben. Und vielleicht noch ein paar Platten machen, wenn ich darf.

Was würdest Du jungen Menschen raten, die gerade ihr Abitur/Hochschulreife
erlangt haben und die vor der Entscheidung stehen ob Sie ein Studium
beginnen oder in das Berufsleben einsteigen sollen?

Jeder muß seinen Weg für sich selbst finden und aus seinen eigenen
Fehlentscheidungen und Irrtümern lernen — dazu gehört auch, sie als
solche zu erkennen und sie in Zukunft zu vermeiden. Von daher würde ich
niemandem einen Ratschlag geben, denn Ratschläge sind auch Schläge. Ich
glaube nur nicht, daß die Welt nochmal hunderttausend angepaßte
BWL-Studenten braucht. Wir brauchen mehr Menschen, die Zeit ihres Lebens
die bestehenden Verhältnisse infragestellen und vielleicht auch Impulse
geben können, um sie zu verändern. Bevor man also auf ein Studium
zurückgreift, bloß, weil man keine Perspektive findet oder nicht weiß, was
man mit sich selbst anfangen soll, sollte man sich überlegen, was man
immer schon machen wollte — und dann versuchen, einen Weg zu finden, mit
dem man dieses Ziel erreichen kann. Das kann ein Studium sein, eine
künstlerische, handwerkliche oder kaufmännische Ausbildung — ein
allgemein gültiges Patentrezept gibt´s da nicht. Das Einzige, das man
immer einkalkulieren sollte, ist die Möglichkeit des eigenen Scheiterns —
was wir am Ende sowieso alle tun, was hat man also zu befürchten?
Scheitern gehört dazu, denn wie sonst würdest Du einen Erfolg bemerken
wollen?

Diskografie von Stephen Parsick

Diskografie von Stephen Parsick

Gibt es einen Traum, den Du dir erfüllen möchtest?

Ich versuche, mich und mein Handeln so wenig wie nur irgend möglich von
Träumen und Wünschen bestimmen zu lassen, denn die meisten Träume sind und
bleiben nur das — Träume, die unerreichbar bleiben. Aus der Unfähigkeit,
dieses idealisierte Ziel zu erreichen oder zu erkennen, daß diese Träume
meist aus gutem Grunde unerreichbar bleiben, erwächst für einen selbst
sehr viel Kummer und Frustration. Wenn überhaupt, dann möchte ich
weiterhin kreativ bleiben dürfen und vielleicht noch das eine oder andere
Instrument auf die Musik, die darin schläft, ausloten können..

Zum Abschluss möchte ich Dir eine ganz persönliche Frage stellen: was hast
Du vom Leben gelernt?

Es ist zu kurz, um es mit Kompromissen zu vergeuden. Es ist zu kurz, um es
mit Menschen zu vergeuden, die mir nur dumm im Weg rumstehen, meine Arbeit
als Vehikel für ihre eigene Eitelkeit benutzen wollen oder mich davon
abhalten, den Weg, den ich mir ausgesucht habe, mit aller Konsequenz zu
beschreiten. Das Leben endet Minute um Minute, und man sollte diese
Minuten nicht leichtfertig mit Dingen, die schlußendlich ohne Bedeutung
sind, verschwenden. Dazu gehört natürlich auch die Erkenntnis, was für
einen selbst wirklich von Bedeutung ist und was nicht.
Wenn sich das Leben völlig unerwartet dergestalt verändert, daß man das,
was einem eigentlich wichtig ist, nicht mehr machen kann, hilft einem das
ganze Gejammere um die Zeit, wo man es noch hätte tun können, nichts. Wenn
Du es jetzt nicht machst, wirst Du es wahrscheinlich niemals mehr machen
können.